August 2024

Totgesagte leben länger

Gerlinde Strasdeit, Linke-Fraktion im Gemeinderat
Gerlinde Strasdeit, Linke-Fraktion im Gemeinderat

SOS Kita – was muss passieren, damit die Landespolitik die Forderung nach verlässlichen Kitas erfüllt? Kinder sind unsere Zukunft. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf steht auf dem Spiel. In Baden-Württemberg müssen 15.000 freie Stellen mit Erzieher:innen besetzt werden. Da braucht es landesweit eine gezielte Ausbildungsoffensive statt Werbekampagnen für den Soldatenberuf. Den Betroffenen in Tübingen ist nicht geholfen, wenn die Verwaltung 100.000 Euro für eine Werbeagentur ausgibt, die hohle Sprüche raushaut, nicht in die Abschlussklassen geht und sich den Problemen nicht stellt.

Voll daneben ist auch, dass die Landesregierung per Lostrommel (!) die Bundeszuschüsse für die Ganztagsbetreuung an die Kommunen weiterverteilt statt die Mittel nach Bedarf zu ergänzen. Qualifiziertes pädagogisches Personal in Kitas und Grundschulen muss drin sein. Die Bildungskatastrophe ist hausgemacht. Was in Frankreich und Schweden geht, ist auch bei uns möglich. Das Gehalt von Erziehungspersonal orientiert sich dort am Lehrberuf.

In Tübingen ist eine Entlastung der pädagogischen Fachkräfte von Verwaltungs- und Hauswirtschaftsaufgaben im Gang. Das ist schon was. Freie Träger, die vorbildlich ausbilden, dürfen bei der Finanzierung nicht weiter benachteiligt werden. Stadtoberhaupt Palmer sieht bei den kommenden Haushaltsberatungen keine Kürzungsmöglichkeit im Kitabereich. Zustimmung! Auch in anderen sozialen Kernbereichen werden wir Kürzungen ablehnen und ich kritisiere Sparandrohungen, die städtischen Ausgaben auf das Niveau von 2012 zurückzufahren. Das hieße massiver Stellenabbau. Wer die „Schmerzen fair verteilen“ will, sollte die Gewerbesteuer maßvoll anheben und sich auf Ebene des Städtetags und bei Lanz dafür einsetzen, dass auch die Superreichen so streng besteuert werden wie einfache Erwerbstätige und die wertschöpfende Mittelschicht. Dann gäbe es keine Finanznot in den Kommunen und die Bahn müsste die Fahrzeiten nach Stuttgart nicht schätzen.

In Tübingen bekamen wir Linken bei der Kommunalwahl 9,3 % der Stimmen und konnten unsere vier Mandate im Gemeinderat halten, ein schönes Ergebnis; dafür Danke. Bundesweit sind wir derzeit im Keller. Aber Totgesagte leben länger. Im Gegensatz zu denen, die dem Rechtstrend und dem Rassismus der AFD nachlaufen, halten wir Linke fest an einem demokratisch-sozialistischen, ökosozialen und internationalistischen Kurs.

Gerlinde Strasdeit, Gemeinderätin

Bezahlkarte ist Rechtspopulismus

Andreas Linder, Kreisrat
Andreas Linder, Kreisrat

Die „Bezahlkarte“ ist das lokalpolitische Sinnbild einer Flüchtlingspolitik, die in die völlig falsche Richtung läuft. Statt eine Politik zu betreiben, die die Ursachen von Flucht (Kriege, Ausbeutung, Umweltzerstörung…) und damit auch die Zahl der Flüchtlinge tatsächlich reduzieren kann, überbietet sich die Politik in Anti-Flüchtlings-Rhetorik, Grenzabschottung, verschärften Asylgesetzen und „Abschieben im großen Stil“. Was früher mal Rechtspopulismus war, ist jetzt Mainstream. Je mehr den Schwächsten dieser Welt die Solidarität entzogen wird und je mehr die eigene Verantwortung weggeschoben wird, desto mehr klatscht das eigene Wahlvolk. Soll das eine „Brandmauer“ sein?

Jetzt soll vor Ort die „Bezahlkarte“ eingeführt werden. Diese braucht es angeblich zur „Bekämpfung der illegalen Migration“ und des „Schlepperwesens“. Die Betroffenen sollen gegängelt werden, damit andere von der Flucht abgeschreckt werden. Wer glaubt das wirklich? Sicher ist aber, dass die Menschen aus der Verwaltung und der Flüchtlingshilfe, die mit den Geflüchteten im Alltag zu tun haben, einen umfangreichen, lästigen und komplett unnötigen Aufwand haben werden.

Wird die Umsetzung halbwegs vernünftig und „diskriminierungsarm“ erfolgen? Wird der Kreistag etwas zu entscheiden haben? Wenn es nach der Landesregierung geht, soll das nicht passieren. Aus der Antwort (17/7132) auf eine Anfrage von Dorothea Kliche-Behnke (MdL, SPD) geht hervor, dass die Landesregierung beabsichtigt, die „Bezahlkarte“ „flächendeckend“ und „für alle“ einzuführen. Es soll ein monatlicher Barbetrag von 50 Euro gewährt werden. Die Einführung soll durch die unteren Verwaltungsbehörden erfolgen. Schon beim Antrag von CDU und FWV (die Bezahlkarte soll möglichst schnell eingeführt werden) und zuletzt bei der ersten Sitzung des neuen Kreistags Ende Juli vertrat auch Landrat Walter die Position, dass der Kreistag nichts zu entscheiden habe. Dies gefällt uns als Kreistagsfraktion nicht. Wenn „von oben“ etwas kommt, was der Verwaltung nicht gefällt, gibt es auch Spielräume. Beispiel: Bundesteilhabegesetz. Das BuGrenzabschottungndesgesetz zwingt nicht zur Einführung der „Bezahlkarte“ und lässt zu, dass die Kommunen entscheiden. Das zivilgesellschaftliche Bündnis aus 25 Organisationen hat detaillierte Vorschläge für eine möglichst diskriminierungsarme Umsetzung der „Bezahlkarte“ eingereicht. Sollen diese nicht mal ignoriert werden?

Andreas Linder, Kreisrat